Georg von Oertzen                Das alte, ewig junge Lied

 

O Wonnemonat, Maientag voll Blüthen,

Voll Glanz und Traum, voll Mückenspiels in Lüften,

Voll Lerchenliedern und voll Fliederdüften,

Wie mag ich soviel Wohlthat dir vergüten?

 

Nach Knabenart versenkt in Elfenmythen,

Zur Wanderschaft umgürt ich nun die Hüften,

Und, starb die Jugend, will ob ihren Grüften

Vor Klage mich Frau Nachtigall behüten.

 

Ihr Flötenton aus nachbarlichen Zweigen

So brünstig schwillt, son glühend wollsttrunken,

Als sei die Lieb der ganzen Welt ihr eigen:

 

Sie grübelt nicht, sie lebt! Aus Lebensfunken

Wird Gott zum Preis noch mancher Frühling steigen

Und lieblich sein, wenn dieser hingesunken.

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Apriltragödie

 

Am Mühlenwehr in Frühlingsvesperstunde

Die Bäume stehn mit Kinderangesichte

Und horchen jener heimlichen Geschichte,

Die aus des Baches vielgeschwätzigem Munde

 

Geplaudert wird: Vom Wassermann am Grunde,

Vom Neck, dem greisen, der im Mondenlichte

Die Nixen lehret, wie man Locken schlichte

Und küssend Pilger auf den Tod verwunde.

 

Darob erschrak die zarte Apfelblüthe

Und hebt und bricht und taumelt in die Welle;

Sie war von zu poetischem Gemüthe.

 

Kuhblumen wachsen zahlreich an der Stelle

Und schütteln ihre gelben Sommerhüte

Und wispern leis: Die geht nicht mehr auf Bälle.

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Nur nicht ängstlich

 

Es war einmal ein Träumer, der vergnüglich

Am ersten Maitag streckte seine Länge

In’s Uferschilf und lernte dort in Menge

Geheimnisse auf Weltweisheit bezüglich.

 

Ein Birkenzweig zur Unke sprach: Wenn füglich

Der Jüngling gern hört Ihre Klaggesänge,

Das Alter kommt durch Sorgen in’s Gedränge,

Frau Nachbarin, drum rathen Sie uns klüglich!

 

Pfingstmaien erst, dann edle Hexenbesen,

Verschmäht uns die moderne Amazone;

Das Steckenpferd hat sie zum Roß erlesen,

 

Die Mutter stiehlt es ihrem eignen Sohne.

Frau Unke sprach: Und darum soviel Wesen?

Der Ritt verdient ein Birkenreis zum Lohne.

 

 

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Gefunden und doch verloren

 

Mit braunem Antlitz unterm blonden Zopfe

Ein Knäblein dort im Garten auf den Zehen

Fürsichtig nahet, bleibt vor Blumen stehen

Und schleudert dann vom rasch entblößten Kopfe

 

Den Hut vorbei dem Schmetterling. Doch, tropfe

Die Stirn von Perlen, heim will es nicht gehen,

Sein Blick wird starr, dem Flüchtling nachzusehen,

Wir können merken, wie das Herz ihm klopfe.

 

Und Neid erwacht uns: Fern dem hastgen Finger

Verfliegt sein Glück sich still und schön im Blauen

Und jeder Falter wird zum Wiederbringer.

 

Wir aber, Männer voll von Selbstvertrauen,

Des spröden Schicksals trotzige Bezwinger,

Uns welkt die Blume, wenn wir sie beschauen.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Staat und Familie

 

Ein Häuslein ruhet spitzgethürmtim Schutze

Des Tannenwaldes unter breiten Ästen.

Dorthin die Straße wimmelt von dem Besten,

Was Arbeit je gewonnen hat zum Putze.

 

Und was die Wohnung stark macht, daß sie trutze

Bescheidnen Sinnes ungebetnen Gästen,

Was Ordnung will und guter Brauch bei Festen,

Dort machen’s Fleiß und Klugheit sich zu Nutze.

 

Und jedes Werk wird vorbesimmt für Jeden,

Und Jeder seins vollbringet ohne Tadel

Rastlos und schweigsam, Keinen hört man reden.

 

Ameisenheim! Aus diesem Haus von Adel

Getreu im Kleinen, eins in Ruh und Fehden,

Kennt Ihr sie nicht die Herrn der Kiefernadel?

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Rothbäckchen

 

Inmitten von Vergißmeinnicht, am Rande

Des Wiesenbaches welch ein Athemholen?

Dort schläft das Mägdlein, dem auf Blüthensohlen

Die Träume nahn mit Schmuck und buntem Bande.

 

Sie kleiden es in prächtige Gewande

Statt seines Werktagröckchens braun von Kohlen,

Und Schlüsselblumen öffnen ihm verstohlen

Den tiefen Himmel und die weiten Lande.

 

Ach, wie das schön ist! Herrn und edle Frauen

Mit sanften Augen wandeln allenthalben,

Und durch den Wald her jagt im Abendgrauen

 

Ein stolzer Reiter, springt von seinem Falben

Und kniet vor ihr! Sie wacht, die Wimpern thauen:

„Ja, wenn du fromm bleibst“, zwitschern ihr die Schwalben.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Müde und wieder lebendig

 

Die Rose neigt, von Mittagsgluth versengt,

Ihr welkes Haupt am ausgedörrten Stiele,

Und sterbend, noch im letzten matten Spiele

Der Schmetterling in ihren Düften hängt.

 

Da schlägt die Stunde, welche Labung sprengt,

Und soviel Stern am Himmel gehn, soviele

Thautropfen finden leuchtend ihre Ziele,

Und perlenschwer sich Blüth an Blüthe drängt.

 

Dies zu betrachten, kommt von Euren Pfaden,

Ja, kommt, Ihr Pilger krank und grambedeckt:

In einen Garten werdet Ihr geladen,

 

Von Thränenwolken schattig überdeckt.

Thautropfen sind es, die gesund Euch baden,

Und Gottes Lieb, die heilsam Leiden weckt.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                In die goldne alte Zeit

 

Der Mai ist kommen und er nahm in Pflege

Was sprießet, duftet, singt und klingt hienieden,

Kastanie schmückt mit Blüthenpyramiden,

Der Dornbusch wie ein Stutzer sich am Wege.

 

Und voll das Laub wird, daß es Nester hege

Und Menschenglück in seinem süßen Frieden.

Wer aber längst von Hoffnung abgeschieden,

Dem ruft der Kranich: Deine Flügel rege!

 

Die Pfade mir bekannt sind durch den Äther,

Zum Schatten unsrer Heimath laß uns schweben,

Zum Lindenbaum, am alten Rathaus steht er

 

Und Tanz und Spiele seinen Stamm umgeben.

Dort weichet von dir, was du träumtest später,

Und deine Märchen wollen wieder leben.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Mein alter Faulbaum

 

Nun blüht der Baum am Eck des Elternhauses,

Von zarten Glöcklein schneeweiß überhangen:

Oft ehedem die Winde Flügel schwangen

in seinen Ästen schaurigen Gesauses.

 

Ans Fenster streichend, jagten sie ein krauses

Erschrocknes Kinderhaupt mit bleichen Wangen

Tief in die Kissen, leise Klagen zwangen

Mein Mütterlein vom Tisch des Abendschmauses

 

Zum Bette, drin ich rang mit Feen und Dieben.

Ihr Lächeln ward der bösen Träume Meister;

Doch kam sie nicht, dann kam ich angstgetrieben

 

Zu ihr im Hemdchen und erfuhr als dreister

Interpellant, was mir dann klar geblieben:

Daß Menschenhände stärker sind, denn Geister.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Ein Wiedersehn

 

Frühstunde war es, die Veranda lag

In Fliederduft und Maiensonnenschimmer.

Hier wartete der Morgentrunk, im Zimmer

Die Gäste rief bekannter Glockenschlag.

 

Doch ich, mit einem Körbchen spielend, stach

mir in die Hand, sah auf und – welch ein Flimmer!

Ein Traum der Kindheit ruft mich weiter immer

Und weiter heim in seinen goldnen Tag:

 

Der Schwester Nadelbuch, alt, abgegriffen,

Und drin mit Amor sieben schöne Damen,

Die ich als Büblein ungalant gekniffen,

 

Heut mir das Herz im Sturm gefangen nahmen.

- Das Posthorn blies, Locomotiven pfiffen:

Sie sind verjüngt, seit wir zusammenkamen.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Die Gardinenkutsche

 

Es sei! Von dieser lieben Bettstatt heute

Erzähl ich Euch, der Wißbegier zu dienen:

Sie schützte sonst mit zarten Mousselinen

Nur Tanten oder hochverehrte Leute.

 

Wir Kinder wußten, daß es viel bedeute,

Wenn dort zum Handkuß morgens wir erschienen,

Ermahnung gab es und Bonbons bei ihnen,

Und heimlich kichernd theilten wir die Beute.

 

Jetzt träumet sie, die Thüren sind verschlossen.

Doch läßt sie noch, bis ihr Beruf erledigt,

Aus diesen Träumen kinderfreuden sprossen

 

Und keiner Motte frevler Zahn sie schädigt:

Oft hört man hier, wenn Mondglanz hingegossen,

Die Geisterlaute der Gardinenpredigt

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Socialpolitische Gespräche

 

Zum lieben Schwälblein kürzlich sprach mit Klappern

Der Philosoph vom Giebelfirst-Katheder:

„Mehr als der Schnabel heute gilt die Feder

Und Gänsekiele oft unleidlich zappern.

 

Dagegen ich, kann Einer wohl in knappern

Beredtern Worten sagen das, was Jeder

Im Stillen wünscht: Ein Brüderchen entweder,

Oder zwei Schwesterchen, die lieblich sabbern?“

 

Das kluge Weibchen zwitscherte: „Gevatter,

Die freie Ehe, glauben Sie’s der Schwalbe,

Kann mehr als Sie, und blind macht das Geschnatter

 

Der Zeitungsenten mehr als eine halbe

Million von uns. Der Mensch jetzt Bessres hat er,

Als Ihren Rath und meine Augensalbe.“

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Ganz stille

 

Die Sonne glüht, der Springborn singt von Leide,

Von Lieb und Lust melodisch durch den Garten,

Schildwache stehn mit blühenden Standarten

Kastanienbaum, Akazie, Silberweide.

 

Und dort im Erker knistert es wie Seide:

Ein zärtlich Paar nach langem bangem Warten

Sich gern vergiebt die süßesten Unarten

In Rosenduft und dichtem Laubgeschmeide.

 

Am Fliederkelche schaukelt die Libelle,

Und Nichts was lärmt, was staubig und voll Sorgen,

Berührt von fern des leisen Zeitstroms Welle.

 

Er ruhet hier, in Einsamkeit geborgen;

Kaum nur die Nacht mit Tagesdämmerhelle

Unmerklich trennt vom Heut ein gleiches Morgen.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Zwei Spiegel

 

Den Wald hindurch, der eben sich im Kleide

Von zartem Grün an’s Hochgebirge lehnet,

Ging jüngst ein Wandrer. Dieser spricht: ihr wähnet,

Es sei das Herz im Jubel und im Leide

 

Ein andres Meer; denn zitternd wogen beide,

Wenn drüberhin der Sturm die Flügel dehnet,

Und daß zum Licht her die Tiefe sehnet,

Die Thräne sagt’s, die Perlen-Augenweide.

 

Doch Besseres hat mein Gemüth erfahren:

Ein stummer Bergsee, der in trunknen Fluthen

Die Sonne spiegelt, hell ihr Bild zu wahren,

 

So trank ich heut des Abends letzte Gluthen,

Und gleich wie Schwäne, segelnd hoch im Klaren,

Zu Häupten mir des Friedens Schwingen ruhten.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Im Spätlicht

 

Der tiefen Sonne letzte Strahlengarbe

Ihr rothes Gold hinstreut den Wiesenmatten,

Die Taube sucht des Buchenwaldes Schatten,

Voll Traum des Herz wird, blaß der Rosen Farbe.

 

Und wer noch eben bitter sprach: Ich darbe,

Und wessen Augen nirgends Frieden hatten,

Wer hungrig blieb, verlacht von Übersatten,

Ihm, Dämmerstunde, kühlest du die Narbe.

 

Schweigsame Spinnerin am Zauberrocken,

Mir windest du die Fäden meines Lebens

Noch einmal hell und meine Pulse stocken;

 

Denn viele schürten, viele sich vergebens.

Und vor dem Meister senkt mein Haupt die Locken,

Der sich erbarmt so schülerhaften Webens.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Nach langem Durste glücklich

 

Des Maienregens sanfte Perlengüsse

So weich, so still erquicklich niederfallen,

Daß Wonne zittert aus den Kelchen allen,

Ihr tiefer Dank einathmet seine Küsse.

 

Die Gartensteige wandeln sich in Flüsse,

Drin Licht sich spiegelt, schwere Tropfen schallen

Als hörest Du der Erde Pulsschlag wallen,

Dem andachtsvoll Dein Herz verstummen müsse.

 

Und Durst und Sehnsucht öffnen ihre Poren

Und Rösleins Blick in feuchtem Glanz sich neiget

Vor meinen Augen, weithin traumverloren.

 

Dies Bild mein Weib mir bräutlich lächelnd zeiget,

Aus ihrem Herzen, das mir Gott erkoren,

Der Regenduft beglückter Thränen steiget.